Waldsterben - ein Mythos?

Anfang der 80er Jahre beobachteten Forstwissenschaftler in zahlreichen Ländern Europas und Nordamerikas Schadensbilder an Nadelbäumen, die bis dahin unbekannt waren. Bald war vom Tannensterben und vom sauren Regen (in den USA: acid rain) die Rede. Waldschäden waren an sich nichts Neues. Ein Blick um hundert Jahre zurück in die Tharandter Forstlichen Jahrbücher verrät, dass es schon im 19. Jahrhundert eine rege Diskussion um so genannte Rauchschäden in den deutschen Mittelgebirgen gab. Damals sorgten der aufstrebende Bergbau und die Erzverhüttung für massive, aber meist lokal begrenzte Schäden durch Rauchgas-Immissionen, vor allem durch das giftige SO2. Waldbesitzer verklagten Industrielle auf Schadensersatz.

Im 20. Jahrhundert wuchsen dann die Schlote immer mehr in die Höhe. Erholsam für die nahe gelegenen Wälder und Wohngebiete. Aber diese Politik der hohen Schonsteine sorgte lediglich für eine weiträumige Verteilung der Schadstoff-Emissionen. So wurde die giftige Fracht, stark verdünnt, auch in die Reinluft-Gebiete der deutschen Mittelgebirge getragen, in denen dann Bodenversauerung, Auswaschung von Nährstoffen und in der Folge Kronenverlichtungen der Bäume beobachtet wurden. Aber auch im Flachland zeigten sich Symptome. Bald machte der Begriff "Waldsterben" die Runde. Die Politik war alarmiert. Bald wurden Emissionsgrenzwerte beschlossen, die Autos mit Katalysatoren ausgerüstet und die Luft wurde zunehmend sauberer.

Aber unbeeindruckt von der massiv reduzierten Luftschadstoffbelastung - die SO2-Emissionen wurden seit Anfang der 70er bis Ende der 90er Jahre um 80% zurückgefahren - ging es dem Wald nachhaltig schlecht, jedenfalls statistisch gesehen. Die jährlichen Waldzustandsberichte konstatierten einen anhaltend hohen Grad der Schäden. Wie konnte das sein? Die Erklärung liefert ein Blick auf die Einteilung der Schadklassen: Bäume mit Laubverlusten zwischen 26% und 60% werden nach der europäisch- einheitlichen Zustandserfassung als mittelstark geschädigt bezeichnet, bei einem Vergilbungsgrad von 26% und mehr gelten sie schon als stark geschädigt. Das ist aber wissenschaftlich von geringer Aussagekraft, denn in einer Klasse werden Bäume zusammengefasst, deren Belaubungsgrad sich um mehr als 100% unterscheidet.

Was die Waldzustandsberichte völlig ignorieren, ist die natürliche Mischung von Bäumen unterschiedlichen Vitalitätszustands im Wald. Der noch gerade akzeptierte Blattverlust von 10% setzt einen Maßstab, den selbst der gesündeste Wald nicht erreicht. Eine erhöhte Kronentransparenz kann altersbedingt sowie standörtlich typisch sein und auch eine Anpassung an Witterungsextreme darstellen. So haben die Folgen der Trockenjahre 1976 und 1982 in Mitteleuropa zu witterungsbedingten Schäden geführt, die in den Folgejahren auf zahlreichen Standorten fälschlicherweise als "neuartige Waldschäden" gedeutet wurden. Ähnliche Symptome finden wir übrigens mach den trockenen Sommern 2003 und 2006.

Ein großflächiges Waldsterben hat es nie gegeben, sieht man einmal von den massiven Rauchgasschäden im Erzgebirge und in anderen hochbelasteten Waldgebieten ab. Weder die Zuwachsleistung der Bäume noch die Holzqualität ließen zu wünschen übrig. Wohl aber gab es deutliche Warnsignale und Schäden auch in solchen Gebieten, bei denen eine Kombination waldbaulicher Fehler und sauren Niederschlägen zu einem massiven Nährstoffmangel der Bestände geführt hat. Verstärkt wurden die Effekte durch Witterungsextreme und Insektenkalamitäten. Kalkungen sowie ein Umbau von Monokulturen zu gesunden Mischwäldern haben dazu beigetragen, dass wohl vereinzelt noch von Waldschäden, aber mitnichten von Waldsterben die Rede sein kann.

Literatur

ELLING, W., HEBER, U., POLLE, A. (2007): Schädigung von Waldökosystemen. Spektrum Akademischer Verlag, 422 S.

SCHÜTT, P., KOCH, W., BLASCHKE, H. (1986): So stirbt der Wald. Schadbilder und Krankheitsverlauf. BLV-Verlag, 127 S.

Weblinks

ICP Forests

Robin Wood zum Thema Waldsterben

Chronik einer Panik (Günter Keil in der ZEIT)

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Zwei Drittel geschädigt? Prozentualer Anteil von Bäumen unterschiedlicher Entlaubungsklassen in Europa 2001 (Quelle: UN-ECE: The Condition of Forests in Europe. 2002 Executive Report. 19 pp.)
 

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Waldsterben aufgrund hoher SO2-Immissionen im Erzgebirge (1991) ....

   
.... und noch 200 km weiter östlich, im Riesengebirge >

 

 

 

 
Fehldiagnose Kronenverlichtung: Gesunde Kammfichte in Västragötland, aufgenommen 1909
(Foto Sylvén)
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